Wer bin ich? Wo will ich hin? Und warum bin ich hier?
Mit Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst
In welchen Situationen fühlst du dich voller Kraft? Mit welcher Person kannst du offen über deine Gefühle sprechen?
Das sind Fragen aus unserem Workshop “Wer bin ich? Wo will ich hin? Und warum bin ich hier?”. In der Vorbereitung habe ich mit vielen Freunden über das Konzept gesprochen und habe mit ihnen die Fragen getestet, die in dem Workshop vorkommen sollten. Viele haben erzählt, sich solche Fragen bisher nie wirklich gestellt zu haben. Diese Tatsache motivierte mich sogar noch mehr, diesen Workshop dieses Jahr endlich durchzuführen.
Ursprünglich hatte ich das Konzept bereits 2020 vorbereitet und wollte es Anfang 2021 durchführen. Hier kam mir jedoch die Corona-Epidemie und der Lockdown dazwischen. Unsere Geschäftsstelle in Erfurt war daher gezwungen, das Veranstaltungsprogramm auf Distanz und Online umzustellen. Ein halbes Jahr veranstalteten wir jeden Donnerstag um 16 Uhr einen anderen Workshop, um wenigstens etwas Kontinuität für die Jugendlichen zu schaffen. 2022 reichten die Anmeldungen für eine Durchführung des Workshops nicht aus. Dieses Jahr klappte jedoch alles und es ergab sich endlich die Chance, “XXX” durchzuführen.
Der erste Workshop besteht aus drei Teilen und jeder Teil widmet sich einer der Fragen aus dem Titel. Zu Beginn erhalten die Jugendlichen jeweils ein großes A3-Plakat sowie unterschiedliche Körper als Ausdruck des eigenen Selbst zum Aufkleben.
Die erste Frage, mit der wir uns beschäftigen, lautet: “Wer bin ich?”. Die Jugendlichen erhalten am Beginn jedes Termins einen Umschlag mit Fragen, die sie nacheinander ausfüllen sollen. Die Fragen auf den Zetteln berühren unterschiedliche Themen und besitzen einen unterschiedlichen “Schweregrad”. Auch die Beantwortung ist aufgegliedert: Mal sollen die Jugendlichen die Fragen allein für sich beantworten, mal sind diese in Paararbeit zu erledigen. Außerdem bekommen sie auch drei Fragen gestellt, die sie per WhatsApp einer Person schicken sollten, die ihnen nahesteht.
Im Anschluss haben sie Gelegenheit, die Antworten auf ihrem Plakat zu sammeln oder z. B. in Form einer Zeichnung zu gestalten. Einige der Fragen lauteten z. B.: “Was kannst du gut?”, “Was ist bei einer Freundschaft für dich das Wichtigste?” oder “Wovor hast du Angst?”.
Im zweiten Workshop beschäftigen wir uns mit der Frage: “Wo will ich hin?”. Hier geht es neben der Frage, wie das eigene Leben gestaltet werden soll, auch um die Berufsorientierung. Im Mittelpunkt stehen hier nicht die Fragen, die z. B. bei Infoveranstaltungen des Arbeitsamtes oder Jobbörsen gestellt werden. Vielmehr geht es darum, den Blick der Jugendlichen zu erweitern. Sie sollen dazu angeregt werden, darüber nachzudenken, was Ihnen an ihrem zukünftigen Beruf wichtig ist. Zentral sind dabei Fragen wie “Möchte ich an der frischen Luft arbeiten?”, “Will ich im Mittelpunkt meiner Tätigkeit stehen oder lieber andere strahlen lassen?”, “Will ich allein oder im Team arbeiten?”. Dafür füllen die Jugendlichen einen Fragebogen aus, der verschiedene solcher Aussagen enthält. Im Anschluss geben sie den Bogen an die Person links neben sich weiter, die dann mit der Aufgabe betraut ist, auf Grundlage der Ergebnisse zu überlegen, welcher Beruf am besten passen würde.
Dies wird so lange durchgeführt, bis alle Jugendlichen mehrere Berufsvorschläge vor sich haben. Auch wenn dabei teils überraschende Vorschläge herauskamen, die einzelne Teilnehmer:innen in der Vergangenheit durchaus in Betracht gezogen hatten, ging es vor allem darum, einen individuellen Kriterienkatalog darüber aufzubauen, was für die spätere Berufswahl wichtig ist. Dabei geht es nicht nur darum, welcher Beruf jeweils zu den Jugendlichen und ihren Fähigkeiten passt, sondern vor allem darum, dass auch ihre Wünsche eine Rolle spielen sollten und es neben eher allgemeinen Faktoren auch auf speziellere Aspekte, wie z. B. die Unternehmensstruktur (Größe, Spezialisierung …) ankommt. Darauf folgt eine Schreibaufgabe. Die Jugendlichen sollen innerhalb von 90 bis 120 Sekunden ein Statement abgeben. Dabei werden sie mit Fragen konfrontiert, wie sie ihre Zukunft und die Welt um sie herum in der Zukunft gestalten wollen. Als Vorbereitung erhalten sie ein DIN-A3 Blatt, auf welches sie einen standardmäßigen Grundriss einer 3-Zimmer-Wohnung kleben. Jedes Zimmer kann dabei einen eigenen Lebensbereich repräsentieren: Berufsleben, Familienleben und Hobby. Welches der Zimmer – die verschiedene Größen haben – welchem Lebensbereich zugeordnet wird, bleibt den Jugendlichen dabei selbst überlassen, sodass sie die Möglichkeit erhalten, die Antworten auf die Fragen sehr “plastisch” zu formulieren.
Der letzte Termin steht unter der Überschrift: “Warum bin ich hier?”. Gemeint ist damit nichts weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens. Meiner Erfahrung nach fällt es jungen Menschen schwer, darauf eine definitive Antwort für sich zu finden. Und sie sind damit nicht allein. Selbst ich frage es mich immer wieder und ich glaube, dass es für viele – auch erwachsene Menschen – dazu gehört, diese Frage immer wieder neu zu stellen. Daher habe ich versucht, das Thema von einer anderen Seite anzugehen und die Teilnehmer:innen gefragt, wo und wie sie nach diesem Sinn suchen können. Eine andere Frage bestand darin, welche Antworten sie schon von anderen dazu aufgeschnappt haben (z. B. von ihren Eltern oder Freunden). Dieser erste Teil wird in Form einer Gruppendiskussion geführt. Im Anschluss haben die Jugendlichen eine Tür als Symbolbild aufkleben lassen und ihre Ideen dazu auf ein DIN-A3- Plakat niedergeschrieben.
Der Abschluss besteht aus einem Resümee und einer Feedbackrunde. Dabei werden die Jugendlichen darum gebeten, positive und negative Eindrücke des Workshops zu reflektieren. Besonders wichtig finde ich dabei die Frage, was die Jugendlichen über die einzelnen Sitzungen hinaus noch weiter beschäftigt hat oder ob sie die Themen mit Freunden oder ihren Eltern weiter besprochen haben. Letztlich geht es bei dem Workshop nicht so sehr darum, definitive Antworten auf die im Titel formulierten Fragen zu finden, sondern die Teilnehmer*innen zum Nachdenken über sich, ihre Wünsche und Vorstellungen anzuregen und ihnen Möglichkeiten zu bieten.
Bei dem aktuellen Workshop erhielt ich sehr viel positives Feedback. Dabei hat mich besonders bewegt, dass ein Fragenblock zur Wahrnehmung durch andere (Mit Fragen wie “In solchen Situationen denke ich an dich” oder “Diese Eigenschaft schätze ich besonders an dir”) den Teilnehmenden im Gedächtnis blieb. Ich halte es vor dem Hintergrund dieser erfreulichen Rückmeldung nicht für unwahrscheinlich, dass die Jugendlichen die erstellten Kataloge und festgehaltenen Fragen aufbewahren und eventuell später noch mal darauf zurückschauen, um ihren gewählten Lebensweg – hoffentlich mehr mit einem lachenden, als mit einem weinenden Auge – mit den alten Vorstellungen und Wünschen aus dem Workshop zu vergleichen.